Inklusion – Exklusion
Die Universität war schon immer ein exklusiver Ort. Während sie im 18. Jahrhundert wenigen gelehrten Familien vorbehalten war, blieb die Forschungsuniversität des 19. Jahrhunderts maßgeblich ein Ort des aufstrebenden Bildungsbürgertums, das sich ‚nach unten‘ abschottete. Ein sozialer Aufstieg über eine Universitätskarriere war bis weit in das 20. Jahrhundert hinein eine Ausnahme. Frauen waren an den Universitäten mehr als Forschungsobjekte denn als Forschungssubjekte vertreten. Schließlich waren im Nationalsozialismus die Hochschulen unter den ersten Einrichtungen, an denen nach rassistische Kriterien selektiert wurde.
Die Portraits von Göttinger Wissenschaftler*innen spiegeln diese Mechanismen der Inklusion und Exklusion wider – die Abwesenheit von Bildnissen weiblicher Gelehrter bis in das 20. Jahrhundert hinein ist offensichtlich. Darüber hinaus aber können Portraits selbst als Teil von Inklusions- und Exklusionsprozessen verstanden werden. So formulieren sie etwa bestimmte Vorstellungen von Weiblichkeit oder Männlichkeit. Aber auch über das Beispiel des Ausschlusses von Frauen hinaus zeigen Portraits, wer zur Universität gehört und wer nicht.
Dorothea von Schlözer
Ab dem 17. Jahrhundert waren mit den Fürstenhöfen, Akademien und gelehrten Salons neue Orte des Wissens entstanden, die gewisse Spielräume für Frauen vor allem aus adeligen Kreisen eröffneten. Der Weg an die Universität blieb jedoch weiterhin Männern vorbehalten. Dorothea von Schlözer (1770-1825) nahm zwar 1787 mit ihrer Promotion die erste Hürde für eine universitäre Laufbahn, eine akademische Karriere blieb ihr aber versagt. Selbst ihrem Vater, einem Göttinger Professor für Staatsrecht und Geschichte, der sie schon früh wissenschaftlich gefördert hatte, lag es fern, „einen Gelehrten [!] aus ihr zu machen“. So sollte sie nach der Promotion den damals für Frauen vorbestimmten Weg einschlagen: als Ehefrau und Mutter.
Umkämpfte Portraits
Die Promotion Dorothea von Schlözers erregte weit über Göttingen hinaus Aufsehen. Viele ihrer Zeitgenossen sahen darin eine Überschreitung geltender Geschlechterrollen. Auch der ehemalige Göttinger Student Wilhelm Friedrich August Mackensen (1768-1798) äußerte sich in seinen Erinnerungen abschätzig. Schlözer würde mit ihrer Gelehrsamkeit ihre Weiblichkeit verlieren. Besonderen Anstoß nahm er daran, dass noch zu Lebzeiten von Schlözer gemalte Portraits und Büsten angefertigt wurden, die sie als klassische Gelehrte zeigen.
„Wenn man’s nun dabey ließe, mit dem guten Kinde einmal Komödie aufgeführt zu haben, so wäre das Ding allenfalls noch wieder gut zu machen. Aber man fährt fort, sie mit Schmeicheleyen irre zu machen, und zu verderben. Man sticht sie in Kupfer und hauet sie in Marmor. – Ja, ja, man hauet sie in Stein, glauben Sie nicht daß ich radotire. Sie finden ihre Büste auf der Bibliothek am mathematischen Fache.“ (128) (Wilhelm Friedrich August Mackensen: Letztes Wort über Göttingen und seine Lehrer. Mit unter wird ein Wörtchen raisonnirt, Leipzig 1791, hier, S. 76.)
Die Göttinger Universitätsmamsellen
Im 18. Jahrhundert waren Privathaushalt und Wissenschaft noch nicht voneinander getrennt. Viele Gelehrte unterrichteten bei sich zuhause, ihre Bücher und Sammlugen waren Privatbesitz. Dies ermöglichte vielen Frauen, die in Professorenhaushalten lebten, sich wissenschaftlich zu betätigen. Zu Berühmtheit gelangten die sogenannten „Universitätsmamsellen“, zu denen auch Dorothea von Schlözer zählte. Als Professorentöchter kamen sie schon früh mit der Wissenschaft in Kontakt. Als erwachsene Frauen verdienten sie sich ihren Unterhalt als Autorinnen, Übersetzerinnen oder Redakteurinnen – meist jedoch im Schatten ihrer Ehemänner. Es ist wohl kein Zufall, dass drei von ihnen lediglich im privaten Erinnerungsalbum des ungarischen Studenten Gregorius von Berzeviczy gleichberechtigt als Silhouetten neben männlichen Gelehrten repräsentiert werden.
Paare
Mit dem Aufkommen der Fotografie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden neue Bildmotive. Neben den Atelieraufnahmen ließen sich Gelehrte zunehmend in privater Umgebung abbilden. Daneben waren besonders Paarkonstellationen ein populäres Motiv. Die Bilder transportieren ein zeitgenössisches Geschlechterverhältnis, das Männern und Frauen unterschiedliche Rollen zuweist. Dabei folgen sie einem gleichbleibenden Muster, das die geschlechtsspezifische Verteilung von Aktivität und Passivität regelt: Die Männer erklären, lesen und zeigen, während sich die Frauen aufs Zuhören und Zuschauen beschränken. Damit nehmen die Frauen auf den Bildern weniger eine aktive Rolle ein und werden mehr über die Zuordnung an den jeweiligen männlichen Protagonisten definiert.
Unsichtbare Helfer
Mit der Entstehung eines Wissenschaftsverständnisses, das auf Beobachtung und Experiment basierte, bedurfte es ab dem 17. Jahrhundert an der Universität auch handwerklicher Kenntnisse. Die Wissenschaftler nutzten nun zum Beobachten, Messen und Analysieren Instrumente, die konstruiert, repariert und gewartet werden mussten. Auch der Aufbau und die Durchführung von Experimenten verlangte viele Helfer und geschickte Hände. Damals wie heute entspricht die tatsächliche wissenschaftliche Bedeutung der Arbeit von Handwerker*innen, Techniker*innen oder Laborassistent*innen keineswegs ihrer offiziellen Repräsentation: In Publikationen finden sie allefalls am Rande Erwähnung und in den Fotografien, auf denen sich Wissenschaftler*innen in ihrer Arbeitsumgebung präsentieren, bleiben sie meistens unsichtbar.
Wer repräsentiert die Universität?
Ein Portraitbildband ist keine neutrale Zusammenstellung, sondern eine Auswahl: Er fasst bestimmte Personen zu einer Gruppe zusammen und schließt andere davon aus. Die Auswahl folgt dabei nur vordergründig den individuellen Kriterien der Herausgeber*innen. Vielmehr sind immer auch zeitgenössische Vorstellungen von Zugehörigkeit maßgeblich. Besonders folgenreich zeigt sich dies in der Zeit des Nationalsozialismus. 1937 gab der Göttinger Anatom Max Voit (1876-1949) zum 200-jährigen Bestehen der Georgia-Augusta einen Band mit Bildnissen Göttinger Professoren heraus. Während er einige jüdische Wissenschaftler in den Band aufnahm, die bereits tot waren, berücksichtigte er seine jüdischen Zeitgenossen nicht. So etwa Max Born (1882-1970), einer der damals bekanntesten Quantenphysiker, oder James Franck (1882-1964), der 1935 mti dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet worden war. Beide waren aufgrund der nationalsozialistischen Unrechtsmaßnahmen zum Zeitpunkt von Voits Veröffentlichung nicht mehr an der Universität Göttingen tätig.